Ganz oben auf der Palme – lasst uns mal wieder runterklettern

Seit Beginn dieser Woche häufen sich in meinem Landtagspostfach, wie auch in der Tagespresse, wieder die offenen Briefe, die Anfragen, Mut- und Wutbekundungen von Eltern, Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern. Ein sehr aktuelles Beispiel für – meines Erachtens nach sehr befremdlichen – Protest ist die symbolische Aktion des Ablegens von Kinderschuhen vor Rathäusern und Schulen.

Dieses Symptom der aufbrausenden Debatte verschärft sich seit Beginn der Pandemie. Ich möchte klarstellen, dass ich es ausdrücklich begrüße, dass wir in einem offenen Diskurs mit Argumenten miteinander debattieren und streiten. Wir alle, und das schließt ausdrücklich uns „Politik-Arbeitende“ mit ein, wollen gemeinsam die besten Lösungen erringen. Wir wollen die Krise bewältigen und dabei so wenig Schaden wie möglich hinterlassen.

Das bedeutet stetiges Abwägen, das Einbeziehen und Einordnen neuer Daten und die Bereitschaft sich von Profis beraten zu lassen, wie auch Betroffenen zuzuhören. Denn Zahlen sind nicht alles. Ob Kinder, Alte oder Selbstständige und Kreativschaffende: Es gibt viele Verlierer in dieser Krise. Was mir Mut macht: ich sehe viele Sächsinnen und Sachsen, die sich seit Monaten an die Beschränkungen halten, oder sich sogar noch weiter einschränken als es sein müsste. Ich sehe wie viele sich seit Beginn der Pandemie engagieren.

Mein Fokus liegt im Bildungsbereich, und meine Priorität ist dieselbe wie die aller Eltern: Die Sicherheit und Rechte der Kinder, aber auch ihr Wohlergehen.

Dieses Wohlergehen hängt immer zu einem großen Teil von uns Erwachsenen und vor allem uns Eltern ab. Wir müssen ruhig bleiben, nüchtern in der Debatte und die Perspektive der Kinder einnehmen, statt sie als politisches Argument vor uns her zu schieben. Die Symbolik der Kinderschuhe vor den Institutionen befremdet mich sehr und wurde bereits in einem Beitrag meines Kollegen Wolfgang Wetzel herausgearbeitet:

Das Symbol der Kinderschuhe hat eine traurige Geschichte. Besonders eindringlich verweisen diese als Metapher auf das systematische Vernichten von Kindern im Konzentrationslager Majdanek bei Lublin in Johannes R. Bechers Gedicht „Kinderschuhe aus Lublin“. Es werden keine Kinder ermordet. Sie ertrinken auch nicht im Mittelmeer wie unzählige Familien, die sich in Europa Frieden erhoffen, für deren Schicksal sinnbildlich ebenfalls Schuhe zur Mahnung aufgestellt werden.

Wolfgang Wetzel

Und wem dieses Beispiel nicht reicht, der sei deutlichst gewarnt: Aktionen wie die Schuhablage vor Rathäusern sind mindestens zum Teil initiiert von bekannten rechten Gruppierungen, wie beispielsweise im Erzgebirge. Sich selbst instrumentalisieren zu lassen für deren Politik ist eine Sache (wer meint, dass der Zweck hier die Mittel heiligt; Bittesehr). Aber die politische Instrumentalisierung von Kindern! sei es durch die Metaphorik der Kinderschuhe oder die Teilnahme an Corona-Leugner Demonstrationen, in welchen Kinder als menschliche Schutzschilde in der ersten Reihe mitlaufen, verurteile ich auf Schärfste.

Kinder sind uns schutzbefohlen, sie sind per Definition besonders schützenswert. Wir haben eine Fürsorgepflicht. Und diese erfüllen wir nicht, indem wir sie als Mittel im „Krieg der Meinungen“ benutzen, sondern indem wir ihnen Sicherheit geben.

Innerliche, gefühlte Sicherheit erhalten unsere Kinder durch unsere Ruhe. Sie brauchen die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, unser Zuhören, unsere Interaktion, unsere Unterstützung. Körperliche Sicherheit ist durch die politischen Rahmenbedingungen gegeben; Durch die vorab mit Expert*innen abgestimmte Reaktionen auf die Entwicklung der Inzidenzen in der Region und die Einhaltung der Hygieneregeln sowie die regelmäßigen Testungen.

Alle unsere Entscheidungen sind nicht leicht fertig getroffen, sie sind Kompromisse zwischen dem Infektionsschutz auf der einen Seite und dem Recht der Kinder auf Teilhabe und Bildung auf der anderen.

Bitte lasst uns – gerade jetzt – auch die Kurve der Empörung flach halten und mit Maß und Mitte argumentieren, verbal abrüsten und sachlich streiten. Deswegen an dieser Stelle nochmals: Danke fürs Mitmachen, Aushalten, Zuhören, Mitdebattieren und Achtsam sein. Und fürs Durchatmen und Runter- statt Hochfahren. Wir können unser aller Energie besser für Lösungsfindungen als für Schimpftiraden verwenden.

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